Corona zu fuß

Je älter ich bin, desto mehr ängstigen mich Fahrradfahrende, wenn sie mich überholen. Unhörbar, hautnah, auf dem Bürgersteig. Fast wie Corona: Achtsamkeit verhindert nicht, erwischt zu werden. Ist es Zeitgeist, wenn die politische Klasse machtausübend und oppositionell radelt, joggt wie andere Leute auch? Ich hatte die Geräusche der Stadt, Fahrräder, Autos, Laster, Roller, Skateboards, ÖPNV, Fußgänger in der menschenleeren Corona-Zeit fast vergessen. Jetzt wird’s wieder laut. Wo bleibt die intelligente, smarte, visionäre Verkehrspolitik, keine, die voraussetzungs- und folgenlos Pop-up-Fahrradwege, temporäre Restauranterweiterungen in Parknischen, teils autofreie Zeiten der Friedrichstraße festzurrt, während Ampeln wie eh und je schalten, Fahrradmarkierungen wie am Weinbergsweg skandalös bleiben und Fußgänger keine Rolle spielen? In der breiten Torstraße wären ein Radfahrbereich und mehr Bus-Stopps vorstellbar, stattdessen ein verschlepptes Umbauversprechen für die enge nördliche Invalidenstraße. Nicht erst seit Corona kollidieren Personalmangel, Parkplätze, Ampelschaltungen, Stau, Hupen, Straßenbahn, Radfahrer, Fußgänger, Kinderwagen und Rollatoren. Als die Linien- Fahrradstraße wurde, vergaß man offenbar Kita- und Schulkinder, Anwohner, Fußgänger jeden Alters. Der Linien-/Rosenthaler/Acker-/Tucholskystraße fehlen bis heute schützende Übergänge, so quetschen in langen Spitzenzeiten Rollis und Trollis durch lückenlos parkende Autos, rasen Renn- und andere Räder auf beiden Straßenhälften hin und her. Ironisches Glück im Unglück: Ein Stau am Rosenthaler Platz erleichtert zeitversetzt das Queren. Was lehrt die Krise? Mitte muss nachjustieren, Maske auf, Maske ab, Alltag pendelt, für und wider wird demonstriert, jeder Mensch ist Viren-Experte, fremder Mundschutz schützt, falls er getragen wird, ÖPNV kennt kein Airconditioning, auf Bahnsteigen wird wieder geraucht.

Gott hatte Adam und Eva aus dem Paradies verjagt, als sie sein Apfel-Gebot missachteten. Berlins Obrigkeit sanktioniert nicht, deshalb drängt es wieder in und vor Cafés, Restaurants, Galerien. Soll der Himmel es richten? Irgendwie gehts natürlich weiter. Neben dem Japaner in der Linienstraße 114 gibt’s bei „Rocket Wine“ auch Sauerteig-Baguette und Pains au chocolat, bald öffnet „Clärchens Ballhaus“ mit gärtnerisch vollendetem Biergarten, im Oktober das „Circus-Hotel“ Rosenthaler Platz. Diese Krise nicht überlebt hat nicht nur „Barcomi“. Dessen New York-Bagel wird mir fehlen.

Irene Runge