Eine Frage der Gewöhnung

Soll man zu Hause bleiben? Am Wohnort? Berlin-Mitte ist groß, das Frühstück im Wedding wird zur Herausforderung. Sonntags fährt kein Bus 142, aber wenn die Heidestraße fertig ist, so die Gastgeber, könnte sich das ändern. Also U8 bis Osloer, dann U6. Verspätete Nachtgestalten, auch Bettelnde steigen ein und aus, nicht zwingend mit Maske, aber gesellig. Der Berliner Herbst hat güldene Momente. Nicht Wetter, sondern Bekleidung schafft Stimmungen. Wenn ich könnte, ich würde Autofahren, den ÖPNV meiden. Fußläufig gibts das Nötige, Besonderes braucht längere Märsche,  da entfällt beschauliches Flanieren. Andere lassen Lebensmittel, Schuhe, Bücher, Möbel, Medikamente liefern, ich sehe beim Einkaufen, wie der seit einem Jahr zugesagte Umbau in der Invalidenstraße noch nicht beginnt. Das heißt Parkplätze, Autos, unangepasst die Ampelschaltung. Keine Fahrradspur. Die Stimmung kippt. Den bösen Blick verdeckt keine Maske, gereizter und gröber wird agiert, Mürrische werden mürrischer, öde Schaufenster öder, manche Maskierungen sind witzig. Das Wirrwarr alter und neuer Corona-Erlasse, Regeln, Verordnungen, Verkündungen, Gebote, Bitten, Warnungen, Hinweise und allgemeiner Tipps setzt sich fest. Auf Bürgersteigen sind nach wie vor Radfahrende, überall wird gebaut, auch in meiner Wohnung, manche Straßen verengt das. Wo Ampeln die ordnende Kraft verlieren, verstopfen Autos den Übergang, mäandert unsereins von hier nach da.

Das öffentliche Fernsehen verfestigt sommerliche Bilder vom Feier-Hotspot Rosenthaler Platz, verschweigt aber, dass man auch hier distanziert essen, trinken, quatschen und warten kann. Fenster auf, Fenster zu, Nächte werden länger, kälter, ruhiger. Heizpilze kommen nun doch. Stammen meine grünen Warn-App-Begegnungen von Bäcker, Augenarzt, Straßencafé oder Tram? Das bleibt unaufgeklärt. Man vergisst sowieso zu schnell, wo man vorvorvorgestern war. Die Anfangsbestürzung ist zurück. Früher ging niemand mit Maske einkaufen, künftig ist das Zeitgeschichte, Lernstoff für Kinder. Bei Fielmann gibts Tücher gegen beschlagene Brillengläser, ich war nicht in Kino und Theater, dank S-Bahn, Zeitfenster und Eingangs-Fiebertest aber zweimal im Potsdamer Barberini-Museum. Vor der Sparkasse Torstraße wacht tagsüber Security, immer mehr Restaurants verlangen sicherheitshalber das registrierende Scannen von QR-Codes. Weh denen, die noch kein Handy haben!

 

Irene Runge