Barrikaden in Berlin – Der „Blutmai“ 1929

Der 1. Mai 1929 markiert eine tiefe Zäsur in der komplizierten Beziehungsgeschichte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik. Von nun an waren alle Versuche, gemeinsam gegen die Rechtsentwicklung und das Abgleiten in einen autoritären Staat vorzugehen, gravierend belastet. Was war geschehen?

 

Demonstrationsverbot

Der 1. Mai war in der Weimarer Republik kein gesetzlicher Feiertag. Dennoch fanden anlässlich dieses „Kampftages“ traditionell zahlreiche Versammlungen, Demonstrationen und Kundgebungen der Gewerkschaften und Arbeiterparteien statt. Für den 1. Mai 1929 hatte die KPD zu Massendemonstrationen überall in Deutschland aufgefordert. Alle Aufzüge waren polizeilich genehmigt worden – mit der Ausnahme Berlins. Der sozialdemokratische Polizeipräsident Karl Zörgiebel verfügte mit der Rückendeckung des gleichfalls der SPD angehörenden preußischen Innenministers Albert Grzesinski, das am 13. Dezember 1928 erlassene Demonstrationsverbot für Berlin nicht aufzuheben. Die Erbitterung unter den Kommunisten war groß. Anfang April beschloss die Partei, Maikomitees zu gründen und das Demonstrationsverbot zu ignorieren, ungeachtet eines in der Presse publizierten „warnenden Aufrufs“ Zörgiebels.

 

32 Todesopfer

In Neukölln, Stadtmitte, Friedrichshain und im Wedding formierten sich Demonstrationszüge mit tausenden Teilnehmern. Die Polizei machte nicht nur vom Gummiknüppel, sondern auch von der Schusswaffe Gebrauch. In der Kösliner Straße, am Hackeschen Markt und in der Hermannstraße wurden Barrikaden errichtet. Die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Polizisten zogen sich bis zum 3. Mai hin. Die Bilanz war erschreckend: Auf Seiten der Demonstranten zählte man 32 Tote, darunter 7 Frauen sowie Hunderte Verletzte. Mehr als 1.000 Personen wurden verhaftet. Nicht wenige der Getöteten waren unbeteiligte Passanten oder Hausbewohner, die durch Schüsse auf Balkone und Fenster getötet worden waren. Das jüngste Opfer war die 16-jährige parteilose Arbeiterin Klara Kowalski, die einen Pistolenschuss in den Rücken erhielt. Das älteste Opfer war der 79-jährige, ebenfalls parteilose Rentner Karl Felsch. Zwei der Getöteten waren Mitglieder der SPD, einer gehörte der USPD an, einer war in der KPD und im Roten Frontkämpferbund organisiert. Alle anderen waren parteilos. Auf Seiten der Schutzpolizei gab es 13 Verletzte.

 

Vertuschen, lügen und verbieten

Das Berliner Polizeipräsidium stellte in seinen Berichten die Dinge auf den Kopf. Angeblich hätten Demonstranten das Feuer auf die Polizei eröffnet, die wiederum nur „Schreckschüsse“ abgegeben hätte. Die KPD habe in Wahrheit nicht demonstrieren, sondern einen „bewaffneten Aufstand“ durchführen wollen. Schon schnell wurde klar, dass mit diesen absurden „Argumenten“ die große Zahl der Getöteten nicht zu erklären war, zumal sich unter ihnen kein einziger Polizist befand.

Allerdings war der Anlass gegeben worden, um am 2. Mai die „Rote Fahne“ für drei Wochen zu verbieten. Verbote für weitere KPD-Zeitungen folgten. Am 4. Mai richtete Reichsinnenminister Severing ein Schreiben an alle Länderregierung mit der Aufforderung, den Roten Frontkämpferbund aufzulösen.

Am 7. Mai jubilierten die „Deutschen Führerbriefe“, eine streng vertrauliche Korrespondenz für „Führungskräfte“ in der Wirtschaft, herausgegeben von Paul Silverberg, Vizepräsident des Reichsverbandes der Deutschen Industrie: „Wie wertvoll, dass es überall fast sozialistische Polizeipräsidenten sind, die heute die Verantwortung für Ordnung und Sicherheit tragen. Wir fürchten, die Autorität des Staates hätte es noch schwerer in der öffentlichen Meinung, wenn ihre Verteidigung in der Hauptsache in den Händen zwar sachkundiger, aber überwiegend rechtsstehender Polizeioffiziere läge.“

Innerhalb der KPD und ihrer Anhängerschaft gewann nach den Erfahrungen des „Blutmai“ die von Anfang an falsche und politisch überaus schädliche „Sozialfaschismusthese“ wachsende Zustimmung. Insofern hatten die Ereignisse am 1. Mai 1929 Wirkungen, die sich in den darauf folgenden Jahren als Hemmschuh für ein gemeinsames Handeln der KPD und SPD gegen die wachsende faschistische Gefahr erweisen sollten.

Reiner Zilkenat