Berlins hausgemachte Pizzen und Sorgen

Mitte

Den Alexanderplatz mögen viele. Ich finde ihn zugig, steinern und verschmutzt, also ungemütlich. Zig-tausend Andere steigen hier um, überqueren und bevölkern ihn, nutzen die Leere für Gruppenaktionen. Musikanten spielen, Artisten tänzeln, Bettler betteln, Armeemützenverkäufer feilschen, Künstler zeichnen, Leute gaffen.

Den Alexanderplatz mögen viele. Ich finde ihn zugig, steinern und verschmutzt, also ungemütlich. Zig-tausend Andere steigen hier um, überqueren und bevölkern ihn, nutzen die Leere für Gruppenaktionen. Musikanten spielen, Artisten tänzeln, Bettler betteln, Armeemützenverkäufer feilschen, Künstler zeichnen, Leute gaffen. Ein Polizeiauto steht herum. Es riecht nach Bratwurst, gelegentlich nach Notdurft, der Springbrunnen sprudelt, er heißt noch immer Nuttenbrosche. Von oben im Kaufhof-Restaurant sehen zwei Männer und ich auf den Platz. Sie reden über gelbe Straßenbahnen als Fünfer und Siebener und meinen deren Länge. Keine Hochhäuser sind auch keine Lösung, wenn gegen jedes Bauen und historische Gassen gewettert wird und DDR-Erbe nicht mehr beeinträchtigt werden soll. Den Grundrissen der früheren Mietshäuser und dem von Straßenbahnen umrundeten Alex-Rondell machte der Krieg zwar zu schaffen, aber den Todesstoß führte der stadtplanerische Gigantismus in sozialistischer Bauherrenart aus. Hinterm Fernsehturm findet jetzt U-Bahnneubau statt, rundum wird für Millionen Euro an Neubegrünung und Parkgestaltung gepuzzelt, und ab nachmittags pöbeln bei gutem Wetter Gruppen trunkener oder kiffender Jugendlicher harmlose Passanten an. Sie lassen ihre Hunde bellen, als wäre die Gegend ihr Revier. In anderen Hauptstädten hätte man das längst unterbunden. In Berlins Mitte wird viel gebaut, doch die gute Nachricht hat eine schlechte Seite: Eigentum kostet, der Mietzins steigt, nur wer zahlt, wird fündig. Fast 70 Jahre nach Kriegsende verschwinden jene innerstädtischen Baulücken, die nicht von historischem Bewusstsein, sondern von altneuen Eigentumsverhältnissen zeugen. Wie überall gelten Touristenmassen als Problem, daher soll, wer ohne Dienstauftrag kommt, bald Übernachtungssteuer zahlen. Die Lagunenstadt Venedig zählt jährlich 33 Millionen Gäste. Die Infrastruktur ist auf Gastronomie, Übernachtung und Souvenirs verengt, der öffentliche Wasser-Nahverkehr brach fast zusammen. Darum zahlen Nichtbewohner jetzt für die kleine Verkehrs-Karte 7 Euro, was den Hochbetrieb auf den Kanälen nicht mindert. In Berlin locken bei Italien-Wetter Pizza, Pasta und Espresso auch an die Spree, wo das Jammern verstummt, das sonst die Berliner Schlagzeilen nährt.