Das neue Hüben und Drüben

Der Hund bellt, die Frau kreischt, der Fuchs sieht sich um. Als letztes verschwindet der buschige Schwanz ums Eck. Da ist Kater Bakunin schon wieder aus dem Fenster gesprungen. Er wird gesucht. Schon frühmorgens stehen, spazieren, sitzen, rennen alte und neue Menschen durch Mitte. Manche lassen Zigarettenstummel fallen, andere stapeln vor Hauseingängen abgenutzte Hemden, Hosen, Teller, Tassen, Bretter, Möbel, Fernseher, Bildschirme, Drucker, zerlesene, selbst neue Bücher. Vis à vis der Hackeschen Höfe wird der Nachwendepfusch entsorgt. Als letztes wird im Sommer die Pro Seniore Residenz verschwinden. Hohe Wertsteigerungspotentiale realisieren sich besser ohne Senioren, Edeka oder Rossmann. Auf 60 Metern Rosenthaler Straße sollen 40 Prozent Luxuswohnungen, 10 Prozent Büros und entsprechende Läden entstehen. Kein Sozialwohnen? Ein öffentlicher Durchgang zur Dircksenstraße?

An wärmeren Wochenenden sind die Nächte länger. Spätis stellen Bänke und Tische auf die Straßen. Hier nehmen Touristen und Einheimische Platz wie in den Restaurants und gelegentlich entlang der Bordsteinkanten. Man isst, trinkt, raucht, steht an Häuserwänden oder mitten auf dem Bürgersteig, kommt, geht, flirtet, verständigt sich. Sonntags ist Stadtwanderung. Mein Freund aus Wilmersdorf wundert sich über Trödel, Handarbeit und kulinarische Feinheiten. Er hatte im Mauerpark Bäume und grüne Flächen erwartet. Wir schieben uns am Bauzaun Bernauer und Eberswalder Straße mit Gruppen junger Leute und munteren Kindern hinein. Alle wollen dabei sein, chillen, picknicken, quatschen. Musikanten wird applaudiert. Hier stoßen alte Mitte und alter Prenzlauer Berg aneinander. Vom Wedding kommen durch den anderen Eingang türkische und rumänische Großfamilien, bringen Lebensmittel, Tische und Stühle. Junge und alte türkische Frauen schnippeln Gemüse, Männer bestücken den Grill, Kinder toben. Shisha rauchend präsidieren altehrwürdige Familienoberhäupter, Alkohol verboten. Nicht alle Frauen tragen Kopftuch. Am rumänischen Grill gilt kein Alkoholverbot, Musikkonserven erinnern an sowjetisches Kino. In beiden Gruppen erweitert sich das Familiäre durch Freunde, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen, mit Geschlecht und Alter wird hier anderes verbunden als auf der östlichen Seite. Diese kulturelle Divergenz entspricht nicht dem einstigen Hüben und Drüben.

Irene Runge