Der aktuelle Fußballsommer

Auch in diesem Jahr werden so manche Sonntage verregnen oder trotz der lauen Sommerluft verödend wirken. Auch in diesem Jahr wiederholen die Markthändler das Angebot von gestern. Auch ihre Klischees können altbacken sein. Die Ausländer, belehrt ein Händler einen anderen, fragen zuerst nach dem Preis und feilschen nur, wenn sie - anders als die Deutschen - ein echtes Interesse für die Ware haben.

Meist finden sich die neugierigen Stadtbesucher zum Wochenende ein. Sie schieben gemächlich aneinander vorbei, sie wollen aus der Nähe sehen, was unsereinem aus Gewohnheit kaum mehr ins Auge sticht. Berlin wird weltweit für seine spontane Offenheit gelobt. Begeistert ruft ein junger Mann, in der benachbarten Bergstraße habe ein toller Asiate aufgemacht. Was? Wo? Die Nachricht platzt in den Sonntagsbrunch vom "Shiloh" in der Torstraße, zu dem auch Genießer von weither kommen. Der Rufende aus der Nachbarschaft kennt den neuen Asiaten vom Hörensagen. Drei Freunde haben dessen Kochkünste bereits gepriesen. Japanisch, Chinesisch, Thai oder Vietnamesisch - dem jungen Mann ist es egal. Das Essen solle nicht national, sondern qualitativ überzeugen.

Einwürfe dieser Art sind kulinarische Mundpropaganda für den Kiez. Im Teehaus Liebknechtstraße ist es nicht der Kuchen, sondern die Gleichgültigkeit der Bedienung, die mich nervt. Ja, es gibt noch immer diese Orte, an denen allein die touristische Eintagsfliege zählt. Im Gegensatz dazu wartet die witzige Luxuskantine Spandauerstraße nicht nur mit gediegener Speisekarte, fairen Preisen und einem hellen Raum auf, sondern mit der Begrüßung und griechischem oder anderem Charme. In der offenen Küche werkeln Köche und Köchinnen, denen die Gaumenfreude der Gäste Ansporn ist. Das gehört zur Sommerlaune in Berlins Mitte. Gelegentlich stauen sich Menschen vor den großen und kleinen Bildschirmen in und vor den Restaurants und Imbissstuben. Das Fußballfieber eint Fremde und Vertraute, denen der schnelle Wechsel aus Sonne und kühlenden Regenschauern die heitere Straßenstimmung nicht vermiesen kann. Berlins Bierkonsum ist stabil, auch wenn allerorten Bionade und gegen Kälte wärmende Decken in rot oder blau serviert werden. Das kollektive Fussballgefühl überwältigt sogar mich. Public Viewing verbessert die urbane Lebensqualität. Die menschliche Nähe auf Zeit wird dabei zur angenehmen Gewohnheit.

Irene Runge