Do you speak English?

Sie wedeln mit Stift und Papier, sagen nur den einen Satz. Wer nickt, wird von jungen rumänischen Frauen eingekreist. Man sagt, ganze Familien lebten vom Verkauf der erbettelten Email-Adressen. Ich weiche aus. Wurden am Potsdamer Platz Bänke entfernt, weil sich Obdachlose einrichteten? Das Hörensagen nährt die Vorurteile. Wird mich der rauchende Mann im roten Outfit verjagen, weil ich mich setze, aber nichts bestelle? Er geht, ist kein Kellner, der Laden hat zu. Beim feineren Asiaten in der Schützenstraße bestelle ich zum Essen Leitungswasser. Vom Tresen raunzt es: Leitung kaputt. Die Bedienung sagt, ich solle was kaufen. Früher hieß es, das Berliner Leitungswasser wäre ungesund. Heute sprudelts am Ku’damm, und nicht nur bio-affine Restaurants servieren es ungefragt. Von der Lindenstraße kommend, Schützen-, Zimmer- und Leipziger, auch die Linden querend, über Gendarmen- und Hackeschen Markt weiter zur Oranienburger und zum Rosenthaler Platz. In der sonnigen Mittagszeit stehen, sitzen, warten, lesen, reden, essen überall junge Leute. „Start-up-urbanism“ bedeutet auch, in der Mittagspause, in und vor kleinen, größeren, einfachen, raffinierten, teuren und preiswerten Restaurants, Energien für den Nachmittag zu tanken. Nicht nur bei Hermann’s (Torstraße 118) arbeiten sie in Laptop-Zonen, aber gespeist wird „laptop free“ an „social tables“. Früher gab es das nicht, auch kein „home office“ und mobiles Arbeiten. Man aß, was Betriebskantinen so kochten. Heute scheint sich der öffentliche Raum weitgehend selbst überlassen. Ich leide wie Behinderte und Menschen mit Rollatoren unter der hysterischen Rücksichtslosigkeit, zu der Fahrradfahrende auf Bürgersteigen beitragen. Sie fürchten aggressive Autofahrer? Mich ängstigt ihr Vorbeizischen und Geklingel. Entspannender sind da Baustellen. Nach langer Pause wird auf dem Tacheles-Areal 17 Meter tief gebaggert. Erde raus, Beton rein. Ende 2020 soll das neue Quartier eröffnen. Am alten Fernsprechamt zwischen Tucholsky- und Monbijoustraße sehe ich Proben heller Anstriche. Viele Fenster sind schon eingebaut. Vis-a-vis der Hackeschen Höfe gibts noch immer die Seniorenresidenz. Als letzte haben hier Wohnende erfahren, ihr Haus wird im Sommer abgerissen. Dass auch in Berlins Mitte unterschiedlich gealtert wird, kann ich der politischen Agenda nicht entnehmen. Aber alles kommt zusammen: Das Neue, das Altsein, die Fußgänger, das Fehlen von Radfahrwegen, Kita-Plätzen, Schul(aus)bauten, Obdachlosen-Unterkünften, Barrierefreiheiten, Sitzbänken und öffentlichen WCs. Längst versteht sich das bisher Selbstverständliche nicht mehr von selbst! 

Irene Runge