Ein Stück Gerechtigkeit nach 80 Jahren

Nach 80 Jahren wird endlich an die Geschichte des Hauses in der Wallstraße 16 erinnert, welches heute der Europäischen Organisation für Kernforschung gehört. Am 26. Oktober wurde eine Gedenktafel für die jüdischen Unternehmer Jakob Berglas und Jakob Intrator enthüllt, die das Gebäude in den 1920-er Jahren erworben hatten. Nachdem der Textilfabrikant Berglas und sein Onkel Intrator aufgrund der antisemitischen NS-Gesetze immer mehr unter wirtschaftlichen Druck gerieten, wurde das Gebäude 1938 entschädigungslos zwangsversteigert und von der Firma Heim & Gerken erworben, deren Inhaber in der NSDAP waren und ab Kriegsbeginn Zwangsarbeiter ausbeuteten. Als Mieter zog der Fahnenproduzent Gustav Geitel ein, dessen Firma Geitel & Co. u. a. für die Beflaggung während der olympischen Spiele 1936 sorgte. Einen besonderen Coup landete Geitel & Co., als 1941 die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ in Kraft trat. Die gelben Davidsterne, die fortan alle Juden über sechs Jahren gut sichtbar an ihrer Kleidung tragen mussten, wurden in der Wallstraße 16 hergestellt – fast eine Million Stück innerhalb weniger Tage. Nachdem das NS-Regime die jüdischen Bürger ihres Besitzes beraubt hatte, schloss es sie auch optisch aus der deutschen Bevölkerung aus, bevor es schließlich zu ihrer physischen Vernichtung schritt.

Jakob Berglas war unterdessen nach China emigriert und zog später in die USA, wo er 1963 starb. Jakob Intrator und seiner Frau Rachel gelang 1941 die Flucht nach Spanien, von wo sie 1943 nach New York gelangten. Einen Tag nach seiner Ankunft erlag Jakob Intrator den Entbehrungen der Flucht. Dem Hakenkreuzflaggen- und „Judenstern“-Fabrikanten Gustav Geitel erging es inzwischen wie so vielen Profiteuren des NS-Regimes – er führte sein Geschäft nach Kriegsende unbehelligt fort. Unter dem Namen „BEST“ ist es heute noch immer im Familieneigentum und stellt u. a. die Flaggen für den Bundestag her.

Jakob Intrators Enkelin, die New Yorker Psychiaterin Joanne Intrator, kämpfte in den 1990-er Jahren jahrelang mit den deutschen Behörden und den Erben von Heim & Gerken, um die Anerkennung ihres Großvaters als Opfer der Arisierung und eine Entschädigung zu erreichen. Der Prozess endete in einem Vergleich. Sie machte es sich zur Lebensaufgabe, an die Verbrechen der Arisierung zu erinnern, und organisierte eine vielbeachtete Wanderausstellung zum Thema. Am 26. Oktober war Joanne Intrator bei der Einweihung der Gedenktafel zugegen, als wenigstens ein symbolisches Stück Gerechtigkeit für die Opfer der Arisierung umgesetzt wurde.

Markus Wollina