Eine denkwürdige Debatte nach Chemnitz, die Augen öffnete

Manchmal sind es nicht nur politische Entscheidungen, die Politik transparent machen, sondern tatsächlich auch parlamentarische Debatten. Und gerade jetzt in einer aufgeheizten, fast hysterischen Situation, die wir seit längerer Zeit und noch einmal verschärft seit den Vorgängen in Chemnitz beobachten, sind Fragen der Verantwortung für die Demokratie, der Haltung besonders wichtig geworden. Das Abgeordnetenhaus hatte in der Plenarsitzung am 13. September anlässlich einer Aktuellen Stunde zum „Demokratie verteidigen“ Gelegenheit, sich dieser Einheit der Demokratinnen und Demokraten zu versichern. Und - leider – wurde in dieser Debatte deutlich, dass die knapp 85 Prozent der Abgeordneten, die nicht den Rechtsradikalen angehören, keineswegs einen Grundkonsens teilen. Besonders sichtbar wurde der Bruch bei der Rede des CDU-Fraktionsvorsitzenden Burkard Dregger: er stieg mit der Unwahrheit ein, dass in Chemnitz ja Linke wie Rechte zu Gewalt aufgerufen hätten und dass der eine Extremismus nicht den anderen Extremismus bekämpfen könne. Man solle verhindern, dass Rechts- und Linksradikale die Debatte bestimmen. Und dann kritisierte er eine „Verrohung der Sprache“, die er nicht etwa bei den Nazis, sondern bei der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli und dem Regierenden Bürgermeister sieht. Beide hätten zum Kampf gegen rechts aufgerufen, Chebli mit den Worten „Wir müssen radikaler werden.“ Er teilte munter nach links („Sprachpolizisten“) aus und verharmloste die Chemnitzer Aufmärsche: „Da müssen wir differenzieren.“ Für seine Rede bekam Dregger immer wieder Applaus von der AfD, aber auch von der FDP. Mit dieser Berliner CDU kann nicht rechnen, wer eine breite Mehrheit der Demokratinnen und Demokraten gegen den Rechtsruck im politischen Feld organisieren will. Udo Wolf rief Dregger entgegen: „Auch die bürgerliche Mitte wird sich entscheiden müssen, in welchem Team sie spielen will: in dem der Demokraten oder in dem der Antidemokraten.“ Dies gilt auch für die FDP, deren Fraktionschef Czaja bei Twitter verlauten ließ, auch Antifaschisten seien Faschisten. Es blieb der schale Eindruck, dass die Rechtsradikalen mit ihren 12 Prozent Wähleranteil erst deswegen so wirkungsmächtig werden können, weil der liberal-konservative Teil des politischen Spektrums keine Antwort auf diesen Angriff findet. Angegriffen hat in der Debatte auch AfD-Fraktionschef Pazderski: Rassismus, so Pazderski, gebe es im Parlament nur im linken Lager, nämlich gegen Deutsche. Und er drohte, dass die AfD die Vergangenheit aller Abgeordneten recherchiere. Dem Regierenden Bürgermeister merkte man die Emotionalität danach an. Um Wut und Unverständnis auszudrücken, müsse niemand Rechtsextremisten wählen, so Michael Müller, da gebe es andere Möglichkeiten. Zu viel stünde auf dem Spiel: „Wer diesen Konsens der Demokraten verlässt, wer hier nicht eindeutig ist, sondern zweideutig redet und handelt, wo klare Abgrenzung vonnöten ist, der wird immer und überall – und ich glaube, nicht nur aus der Mitte dieses Parlaments – auf erbitterten Widerstand stoßen.“

Tobias Schulze