Es ändert sich schneller als gedacht

Jetzt beginnt der 9. Monat, nach jüdischem Kalender fängt am 1. Tischrei, dem 9. September, das jüdische Jahr 5779 an. Laub wird bunter, Tage kürzer, in Mittes Opernhäusern singen sie sich ein, das Prime Time Theater probt die 119. Folge „Gutes Wedding/Schlechtes Wedding“. Vorbei ist die Zeit leerer Theater, Kinos, Häuser und Straßen. Berlins Mitte wird flächig verdichtet. Das Aufstocken steht an.

Ähnlich wie proletarische Kneipen einst „öffentliche Wohnzimmer“ waren, dienen heute Cafés und Restaurants als Arbeitsstuben. Wohnungen sind wieder knapp, aber mein Neuberliner-Freund fand im halb gentrifizierten Moabit eine teure Miniwohnung. Für 10 qm zahlte er in einer Fünfer-WG bisher fast das Gleiche. Glück, Geduld und organisatorisches Talent braucht es auch bei Kitas, Grundschulen, Gymnasien, Hochschulen, Tram, Bus, U/S-Bahn, Parks, Supermärkten, Arztpraxen, Amtsstuben, Gast- und Kulturstätten. In den heißen Sommernächten lässt sich draußen auf trockenem Rasen, Spielgerät, Mauerrand, Decken, Bordsteinkanten, Stühlen und Bänken auch am Gipsdreieck reden, trinken, essen. Dunkler Himmel beheimatet, öffentlicher Raum gehört allen. Als aber nahe der Zionskirche ein Abendzufall drei Geburtstagsfeiern zusammenfügt, sich Unbekannte lachend in den Armen liegen und Hunde gähnen, verlangt eine aufgebrachte Anwohnerin, von der kühlenden Straße in den stickigen Gastraum zu wechseln. Was bin ich froh, dort nicht zu wohnen, auch nicht am Rande Schönebergs, wo hinter schlecht beleumundetem Kurfürsten-Pflaster die Neue Mitte als Tiergarten beginnt. Trotz und wider käuflicher Liebe und Drogen entsteht da auf Brachen ein helles Stadtquartier, Wohn-Eigentum, Wohnen mit und Wohnen ohne WBS werden die Gegend verändern. Zurück zur alten Mitte, ist am Köllnischen Park, in Rungestraße und Wassergasse der halbe Anbau der Parteihochschule „Karl Marx“ verschwunden. Wohneigentum ist geplant, fertig ist der aufwendige Um- und Anbau des markanten, sechsgeschossig denkmalgeschützten blau-roten Klinker-Gebäudes, von 1930 bis 33 in Stahl-Skelettbauweise als stattliches AOK-Verwaltungsgebäude gebaut, war es SED-Bezirksparteischule im „Haus am Köllnischen Park“ und heißt nun mehr „Metropol Park“. Alles, auch Säulen und Terrakotta-Figuren, wurden fürs kommende Wohnen behutsam abgestrahlt. Die expressive alte Liebe fürs bauliche Detail ist nun wieder unübersehbar.

Irene Runge