Karl-Marx-Allee und Interbau 1957 – gemeinsame Kandidaten für das Weltkulturerbe

mittendrin

Im letzten Sommer hat der Berliner Senat die Initiative des Bürgervereins Hansaviertel, des Corbusierhaus e.V. und der Hermann-Henselmann-Stiftung aufgegriffen und die beiden städtebaulichen Ensembles der Karl-Marx-Allee zwischen Proskauer Straße und Alexanderplatz sowie der Interbau 1957 (Hansaviertel, Akademie der Künste am Hanseatenweg, Kongresshalle im Tiergarten, Corbusierhaus am Olympiastadion) gemeinsam als Berliner Kandidaten für die deutsche Liste zum Weltkulturerbe nominiert.

Ausgangspunkt war die Überlegung, dass an keinem anderen Ort der Welt die politische Konfrontation und Konkurrenz zwischen Ost und West so deutliche Spuren in Architektur und Städtebau hinterlassen hat wie in Berlin – und dies schon vor dem Mauerbau 1961. Über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren entstanden im Wechselspiel von Bau und Gegenbau nach Plänen renommierter Architekten einzig­artige Stadtensembles. Sie repräsentieren in einmaliger Prägnanz, Dichte und Qualität die beiden seinerzeit international relevanten und durch die jeweiligen Besatzungsmächte geförderten Strömungen von Architektur und Städtebau der Nachkriegszeit.

Im Osten entwickelte sich an der Stalinallee, der «ersten sozialistischen Straße Deutschlands», ein dekorativer, regio­naler Historismus (repräsentativer Boulevard mit «Wohnpalästen» und markanten Torplätzen), im Westen wurde mit der Internationalen Bauaustellung (Interbau) 1957 demonstrativ an die (westliche) Internationale Moderne angeknüpft (aufgelockerter, durchgrünter Stadtgrundriss mit Solitärbauten). Wäh­rend sich die DDR nach sowjetischem Vorbild Anfang der 1950er Jahre von der architektonischen und städtebaulichen Moderne («Kosmopolitismus», «imperialistischer Bauhaus-Stil») abwandte, um nur wenige Jahre später, wiederum nach sowje­tischem Vorbild, mit der Industrialisierung des Bauwesens nach und nach zu ihr zurückzukehren, vertrat der Westen lange Jahre uneingeschränkt das Konzept der «aufgelockerten und geglieder­ten Stadt».

Was einstmals als konfrontativer Städtebau entstand und unerbittliche Konkurrenz ausdrückte, kann heute – nach der Systemkonfrontation und mit kritischem Blick auf regionalen Historismus und internationalen Modernismus – als gemeinsames Kulturerbe des ehemals geteilten Europas im wiedervereinten Berlin erschlossen und vermittelt werden.

Mit dieser Position hat sich endlich – und zwar auf breiter politischer Grundlage – in Berlin der Respekt vor dem nachkriegsmodernen Städtebau, also auch vor dem Städtebau der DDR in seinen verschiedenen Phasen, durchgesetzt. Erinnern Sie sich? Noch in den 1990er Jahren gab es Pläne, gerade diese nachkriegsmodernen Stadtquartiere zu überformen und aus der Geschichte der Stadt zu tilgen. Mit der Ausweisung als Welterbekandidat steigt auch der Umgebungsschutz für das Denkmalensemble. Insbesondere für die Bebauung am Alexanderplatz und die Neugestaltung des Straßenraums der «neuen» Karl-Marx-Allee wachsen die gestalterischen Ansprüche. Werden endlich auch das Haus des Reisens und die letzte noch nicht wärmegedämmte «Platte» in der Schillingstraße unter Denkmalsschutz gestellt?

Was ändert sich für Anwohner, Eigentümer und Gewerbetreibende in den betreffenden Gebieten?

Wie kann der Welterbe-Status die Gebiete in ihren Qualitäten erhalten und weiterentwickeln, wo ist Handlungsbedarf, um dem hohen Anspruch in Gestaltung und Funktion zu genügen? Mit der Diskussion in der Akademie der Künste am 15. Dezember, 19 Uhr, und dem Kolloquium im Berliner Congress Center am Alexanderplatz am 16. Dezember, 10 bis 20 Uhr, soll der Berliner Antrag einer breiten Öffentlichkeit und insbesondere den Anwohnern bekannt gemacht werden.

Sie sind herzlich eingeladen!

 

Thomas Flierl, Vorsitzender der Hermann-Henselmann-Stiftung

Infos: www.hermann-henselmann-stiftung.de