Melancholische Bilder zum Jahresende

Der Jahresendtrubel ist harmlos, umgeht man den Geschenkerummel, der Übergang einfach, wenn man ums gewesene Jahr nicht trauert und nicht mit Böllern die bösen Geister vertreiben will. Mich erfreuen mildes Wetter, Freunde, mit denen sich gut kochen, essen und reden lässt, und das Jahresend-Kinoprogram, diesmal im kleinen "Central" am Hackeschen Markt, genauer in der Rosenthaler Straße 39. Touristen nehmen die kunstvoll unrenovierte Schäbigkeit der Höfe für bemerkenswerte Retro-DDR und sehen am ersten Hofzaun, dass Graffiti Spaß machen. Im Haus haben Enthusiasten die Anne-Frank-Stiftung eingerichtet, gleich nebenan ist das Museum des privaten Widerstands gegen die Nazis. Hier wird Kleinstunternehmer Otto Weidt geehrt, der während des II. Weltkriegs zwangsverpflichtete blinde, gehörlose und andere Jüdinnen und Juden in seiner Blindenwerkstatt kriegswichtige Besen und Bürsten produzieren ließ. Einige konnte er vor der Deportation retten. In DDR-Zeiten war der Einzelmut eines Fabrikanten kein Thema, nach der Wende engagierten sich dafür Studenten, 2006 wurden die alten Räume als geförderter Ort der Erinnerung eröffnet. Der zweite Hof beherbergt im Keller das Gruselkabinett, oben klappert die Teufelsmaschine, und die eigenwillige Bar erwartet eigenwillige Gäste. Hinter Bänken und Treppen ist das Kino, wo der neuste Film der Coen-Brüder mit dem kryptischen Titel "Inside Llewyn Davis" läuft, eine bittersüße Komödie, in der Oscar Isaac als junger Folksänger 1961 seine schwarzweiße Woche mit Zufallskatze im Arm durch Manhattans Village durchstolpert. Bilder und Stimmung passen zu diesem Hof, der ähnlich Retro scheint, wie es nie mehr sein wird. Der wunderbar hastende Oscar Isaac klebte plötzlich als überlebensgroßes Poster an der Brückenwand und sah verschreckt auf die schmutzige Dircksenstraße herab, so, als müsse er nach Manhattan und Chicago geradewegs ins graue Berlin spazieren. Am übernächsten Tag wars damit vorbei, auch die Katze, die ein Kater ist, war durch neue Poster verklebt.

Die schummrige Melancholie dieses Films hat mir gefallen. Für solche Stimmung ist auch der "Spiegelsaal" in Clärchen's Ballhaus bekannt. Beim vorletzten Sonntagskonzert brillierten hier virtuos im kühlen Halbdunkel der Cellist Damien Ventura und der Pianist Yossi Refesch, zwei Neuberliner, der eine aus Frankreich, der andere aus Israel. Das kulturhungrige Publikum dankte mit endlosem Beifall. Auch Kerzenlicht und dicke Pullover setzten mein Zeitgefühl um etwa 50 Jahre zurück.