Muss man Marx kennen?

Als freier Mensch muss man gar nichts. Bis man eines Tages erkennt: Es gibt keine grenzenlose Freiheit! Nicht mal über den Wolken. Da gibt es Regeln für den Flugverkehr, für Vulkanasche und Weltraumschrott. Und auf der Erde muss man essen und trinken, Miete und Strom bezahlen. Der Arzt will die Chipkarte sehen. Die Pillen sind teuer. Das lässt arme Leute früher sterben. Gute Arbeit bringt oft kargen Lohn. Die Milliardäre sind reicher als der Rest der Welt. Diese Ungerechtigkeiten in Deutschland und in der Welt machen wütend. Und spätestens dann muss man zu Marx greifen, weil der einen Röntgenblick für die Tücken des Kapitalismus hatte.

Karl Marx wollte die Ausgebeuteten dieser Erde zur Veränderung der Welt ermutigen und befähigen. Deshalb kniete er sich mit seinem Kumpel Friedrich Engels in die Hintergründe der Nachrichten seiner Zeit. Beide schrieben dann 1848 auf 23 Druckseiten das „Manifest“. Später kam das dreibändige “Kapital“ hinzu. Dazwischen waren sie an vielen Aktionen beteiligt. Ihre Schriften sind eine Schatzkammer wichtiger Erfahrungen des Klassenkampfes. Ihre Klarsicht hatte zwei Quellen: Die tiefgreifende Analyse der realen Existenzbedingungen und die kluge Anwendung der Dialektik beim Streit mit Verbündeten und Gegnern.

Zitate als Beispiel: „Die Dialektik ist dem Bürgertum … ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden auch das Verständnis seines notwendigen Untergangs einschließt …“ ( „Kapital“ / Werke Bd.23 S.28 ) Was vereinfacht heißt: Wir sehen durchaus die Fortschritte in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Aber das ändert nichts daran, dass dieses System auf dem Kopf steht und fallen muss.

DIE STUNDE DER GAUKLER
Viele heutige Meinungsmacher sagen, dass es nicht so wichtig ist, wie es den Leuten geht, sondern wie sie sich fühlen. Das ist dann die Stunde der großen Gaukler. Die beweisen, dass es anderen viel schlechter geht, und wie unsere Großeltern gelitten hatten. Mit diesem Kitt kann man Wahlen gewinnen. Das ändert aber nichts daran, dass „… nicht das Bewusstsein der Menschen ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein ihr Bewusstsein bestimmt.“( Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie“ )

Doch wer bläst uns den Sand in die Augen? Das steht im „Manifest“: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“ Also: In wessen Hand sind die wichtigsten Medien?
Warum fragen das meistens die Roten und selten die Gelben, Grünen, Rosanen oder gar Schwarzen?
„Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutensten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.“ ( Siehe Werke Bd. 25 S. 614 )
Erklärt das die Karriere von Schröder, Fischer, Maas, Scholz und anderen?

DIE SCHANDE IST VERSTECKT
Da der Kapitalismus ein gut vernetztes Weltsystem ist, darf man die Lage nie nach der Betrachtung des eigenen Bauchnabels beurteilen: „Die Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen.“         ( Werke Bd.9 S.225 )
Und als hätten unsere Vordenker gerade den Koalitionsvertrag oder die Hartz-IV-Gesetze gelesen, warnten sie im „Kapital“: „Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.“

ZUGABE FÜR AMTSTRÄGER:
„Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinsamen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet.“ Zu finden im „Manifest“, wo auch die heutigen Pannen beim Datenschutz und den Spekulationen mit virtuellem Geld, durch den Vergleich mit dem Zauberlehrling begründet werden, der die Geister, die er rief, nicht mehr bändigen kann.

Fazit: Muss man Marx kennen? Wenn man nicht blind oder dumm werden möchte, wäre es schon gut. Manche Grauköpfe sind zwar enttäuscht, weil die Welt des Sozialismus zerbrach. Obwohl es doch hieß: „Wir besitzen die einzige wissenschaftliche Weltanschauung, und die ist allmächtig, weil sie wahr ist.“ Das waren gängige Sätze im Parteilehrjahr, gestanzt wie Lego-Bausteine, aber kaum belastbar. Marx mahnte einst die SPD-Führung: „Der Sturz der kapitalistischen Ordnung liegt in unerreichbarer Ferne … .“ Heute ist beiderseits der Barrikaden vieles anders, viel verflochtener, nicht aussichtsloser! Wir dürfen uns im Übereifer nur nicht auf das Glatteis des Selbstbetruges und der Selbstzerfleischung begeben. Nüchterne Analyse, realistische Ziele, immer als Anwalt der Betrogenen, stets als Hüter des Friedens zwischen den Völkern.
Die Schriften von Marx sind ein guter Navigator im Wildwasser des Turbo-Kapitalismus. Sie ersparen uns aber nicht das Denken und Handeln! Im
Übrigen hat Charly nicht nur gegrübelt, sondern gern auch geblödelt. Selbst unter den elenden Bedingungen seiner Familie im Exil. 

G.Herlt