Nachbar*in schafft Nachbarschaft

Es ist Mittwoch, später Nachmittag, Moabit. In der Begegnungsstätte Neue Nachbarschaft ist mittlerweile fast jeder Stuhl besetzt. Auf den Tischen stehen Schilder, auf denen die Buchstaben der Sprachstufen A (Anfänger) und B (Fortgeschritten) aufgemalt sind. Ein buntes Stimmengewirr erfüllt den Raum. Wir setzen uns zu einem jungen Mädchen. Immer wieder nähern sich Personen und fragen: „A1?“ - Auf unserem Tisch befindet sich kein Schild.

Wir befinden uns beim Deutschstammtisch. Eine Veranstaltung, an der jeder teilnehmen kann, um seine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Student*innen, Ehepaare oder Rentner*innen unterstützen die Deutschlernenden dabei.

Dieser Stammtisch ist nur eines von zahlreichen Projekten der Neuen Nachbarschaft. Marina Naprushkina gründete die Initiative im August 2013 mit der Intention, Neuankömmlinge in der Großstadt willkommen zu heißen. Es ist ein Ort der Integration, an dem sich alte und neue Nachbar*innen vieler Nationalitäten und Altersgruppen auf Augenhöhe begegnen und Kontakte zu Menschen knüpfen, denen sie im Alltag vielleicht nie begegnet wären.

Die Initiative finanziert sich ausschließlich über Spendengelder, um sich ein unabhängiges Arbeiten zu bewahren. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer*innen wäre das unmöglich. Mittlerweile zählen circa 400 Personen zu den aktiven Mitgliedern. Aufgrund der vielen kreativen Köpfe finden, neben dem täglichen Barbetrieb, oft Veranstaltungen statt: Konzerte, Kinderbetreuung und Integrationsküchen sind nur ein Teil davon. Doch die meiste Zeit müssen die Mitarbeiter*innen dafür aufbringen, Neuankömmlinge bei Behördengängen zu unterstützen – Eine Tatsache, die Marina verärgert: „Das Schlimme ist, dass der Staat versagt und wir das ausbaden müssen.“

Genau aus diesem Grund musste das momentane Großprojekt immer wieder verschoben werden. Doch seit dem 29. Januar findet nach intensiver Vorbereitungszeit endlich der Kulturmarathon statt. Unter dem Motto Wir schaffen das gestalten im Zeitraum von sechs Wochen alte und neue Nachbar*innen 30 Kulturveranstaltungen. „Wir wollen jetzt nochmal eine Stufe höher gehen, so dass jeder über sich erzählen kann, damit man einander besser versteht.“, so Marina. Bei Konzerten, Workshops und Vorträgen erzählen alteingesessene Berliner*innen und Neuhinzugezogene voneinander und lernen sich kennen. „Kein Akademikerforum, sondern ein Wissenstransfer der gelebten Erfahrungen“, bei dem Menschen mit und ohne Fluchthintergrund herzlichst willkommen sind.


Gwendolin Möhler/Hannah Kaltenbach


Homepage: http://neuenachbarschaft.de/


Über den Kulturmarathon: http://neuenachbarschaft.de/2016/01/19/wir-schaffen-das-kulturmarathon-der-neuen-nachbarschaftmoabit/