Noch längst kein Frühling

Ich mochte diesen Schnee- und Eismangel, doch wie um die Jahreszeit üblich hielt das nicht an. Deshalb brauchte ich neue Winterstiefel. Die wiederum trugen dazu bei, dass ich Frosttage an zugigsten Haltestellen warmfüßig überstand. Mehr Glück kann kein Januar bieten.

Am ersten sehr kalten Wochenende war das touristische Zentrum fast unbelebt, doch einige einheimische Enthusiasten wie ich gingen Sonntagvormittag um 11 Uhr trotz Kälte ins Hackesche Hofkino. Wir wollten sehen, wie sich der Irrsinn zwischen Bethlehem und Jerusalem Ost wie West nicht nur politisch, sondern vor allem religiös, ideologisch und militärisch, gleichzeitig mörderisch, sensibel und rätselhaft, sehr realitätsnah, in einem Spielfilm über menschliche Loyalitäten bis hin zum bitteren Ende aufschaukeln kann. "Bethlehem" sollte einen Oskar erhalten. Nach diesem Film war es nicht mehr Kälte, sondern geruhsamer Friede, der Berlins Mitte auffällig durchzog. Anders prekär, aber vor allem liebenswert, so der hinreißende israelisch-palästinensische Dokumentartanzfilm "Dancing in Jaffa", der mich im Gegensatz zu "Bethlehem" wahrlich beschwingt in den Alltag entließ. Dass hiesige Medien vom Berliner Kriminalitätsschwerpunkt Alexanderplatz vermelden, es solle mehr Polizei installiert werden, klingt geradezu harmlos angesichts täglichen Blutvergießens anderswo in der Welt.

In Berlin wird stattdessen produktiv gefeiert. Kaum ist die Fashion-Week vorbei, steht die Grüne Woche in den Startlöchern, annonciert das Berliner Filmfestival am Potsdamer Platz sein Kommen. Ich muss gestehen, dass mich die geographisch naheliegenden Ereignisse momentan kaum erreichen. Was Fashion-Week und Nebenschauplätze angeht, so schien mir diesmal, dass mehr junge Männer um die Häuser von Mitte zogen, was aber täuschen könnte. Vor offenbar angesagten Locations drängten sie sich zwischen Münz- und Torstraße, in finsteres Grau gekleidet, nach außen also ohne modischen Charme. Den jungen Damen war vielleicht das Wetter aufs Gemüt geschlagen, wahrscheinlicher ist aber, dass sich unsere Wegzeiten nicht kreuzten. Ich sah kaum edle Pelzkappen und wenig Lust auf provokante Schönheit, lange bunte Beine steckten meist in dicken Stiefeln, den meinen nicht unähnlich.

Dieser Januar, man mag's kaum glauben, war nicht nur glatt, sondern gelegentlich sogar warm und sonnig. Die Tage streckten sich. Erfahrungsgemäß kommt Berlins Frühling etwas später an als anderswo. Bis dahin bleiben leichtfüßige Stadtspaziergänge für jedermann schwierig.