Schule gegen Wohnen – Wohnen verliert

Das ging schnell: Nach nur zwei Jahren hat Rot-Rot-Grün unter Führung der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, das Wohnungsbauprogramm für Berlin vorfristig erfüllt. Eben noch fiel die gesamte Hauptstadtpresse wegen der Wohnungsnot in Berlin und angeblicher Untätigkeit der zuständigen Senatorin über eben diese her. Die Berliner Sozialdemokraten dachten sogar laut über ihre Abberufung nach.

Und nun das: Die für den dringenden Wohnungsbedarf reservierte Fläche des ehemaligen Diesterweg-Gymnasiums in Wedding wird für diesen Bedarf nicht mehr benötigt. 350 geplante Wohnungen sollen nicht gebaut werden, die Fläche kann und soll nun anderweitig genutzt werden. So jedenfalls sehen das die Sozialdemokraten in Mitte.

Was ist passiert? In der Oktober-BVV setzte die SPD überraschend einen Antrag auf die Tagesordnung, der vom Bezirksamt die Reaktivierung des Grundstückes im Weddinger Brunnenviertel als Schulstandort fordert. Ausgangspunkt war ein mit Wasser vollgelaufener Keller der leerstehenden Schule, jedoch ohne dass erkennbare Schäden an der Gebäudesubstanz entstanden wären. Ein Schadensgutachten gibt es noch nicht. Dennoch rief der für Schulgebäude zuständige Stadtrat Carsten Spallek (CDU) sofort nach der Abrissbirne. Der Abriss bedeutet den Verlust einer einzigartigen, utopischen Schularchitektur der 1970-er Jahre und eines wichtigen Identifikationsortes im Brunnenviertel. Die bezirkliche SPD sprang sofort auf, auf den Abrißzug. Mit Erfolg. Der Antrag fand gegen die Stimmen der Linken und der Bündnisgrünen eine knappe Mehrheit. Eine Diskussion in den Fachausschüssen wurde ebenfalls von der SPD-CDU-Mehrheit verhindert. Das bedeutet das Aus für ein Wohnprojekt, dass an diesem Ort entstehen sollte.

 

Zur Erinnerung: Vor über sechs Jahren überraschte der gemeinwohlorientierte Projektentwickler ps wedding die Öffentlichkeit mit der Idee, das leerstehende Schulgebäude zu erhalten (!), zu sanieren und mit verschiedenen Nutzungen wiederzubeleben. Neben einem soziokulturellen Zentrum sollten auch rund 350 (!) Wohnungen im Gebäude und im Neubau nebenan entstehen, bezahlbar auch für Menschen mit geringem Einkommen, für Alleinstehende ebenso wie für Familien. ps wedding wollte den Beweis antreten, dass auch ohne staatliche Förderung preiswerter Wohnungsbau möglich ist. Die Idee überzeugte. BVV, Bezirksamt und auch der Senat unterstützten die Idee sechs Jahre lang.

Nun ganz plötzlich alles anders?

Nein, es ist nicht plötzlich alles ganz anders. Die Wohnungsnot ist real, die Wohnungen werden dringend gebraucht. Ja, Flächenkonkurrenz gibt es. Aber so wie in diesem Fall lässt sie sich nicht auflösen. Man darf gespannt sein, wie die SPD und das Bezirksamt die nicht gebauten 350 Wohnungen den Wohnungssuchenden erklären.

Sven Diedrich