Typisch Berlin: Gemeckert wird immer

Ob feuchttrübes Herbstdunkel, Nieselschnee oder winterlicher Sonnentag - das Neue kommt. Die schwarzweißen Fotos sind mir fast entgangen, die seit irgendwann im S-Bahnhof Oranienburger Straße Erinnerungen ans Vergangene verklären. In der Französischen Straße betrete ich unaufgefordert die Zukunft, als ich hinter einer Holztür überrascht das Foyer mit schwingender Treppe entdecke. Ab jetzt beherbergt das hell gewandete Kulissengebäude der Staatsoper 99 Jahre lang die Barenboim-Said-Akademie. Zur Zeit sind es 37, bald 90 Hochbegabte, irgendwie aus dem Nahen Osten, die hier musikalische Fertigkeiten vervollkommnen, Philosophie auf Englisch hören und Proberäume bis tief in die Nacht nutzen. Im von Stararchitekt Frank Gehry wundersam geschwungenen, fast schwebenden Pierre-Boulez-Kammermusiksaal aus duftendem Edelholz, da werden auch sie öffentlich musizieren.

 

Auch im Westen Neues: McDonalds ist im Bahnhof Zoo zu Hause, ein kleiner Fernzug darf wieder halten, zwei Hochhäuser machen keine Skyline, sind aber ein lohnender Blickfang, im Zoopalast schien mir der Kinofilm schöner als anderswo. Wieder vorn oben im Bus entpuppt sich „Platz der Republik“ als öde Haltestelle hinterm Tiergarten, weichen auf dem Linden-Boulevard mit zu wenig Kaffeehäusern und keinen Kinos die Touristen den Baustellen aus. An der James-Simon-Galerie suchen sie den Pergamon-Altar, stattdessen stählerne Spundwände, die 15 Meter tief den Untergrund trocken halten sollen. Fast bezugsfertig stehen schräg gegenüber dem Bode-Museum die Edelhäuser fürs Wohnen und Arbeiten, das Literaturcafé mit Wasserblick ist noch immer zu. Sichtbarer Fortschritt in der Oranienburger: Zwischen Delivero Hero (neu) und Logenhaus (alt) fehlt ein Gebäude, da ist jetzt der Durchgang zum geräumigen Innenhof. Hier soll ein Biergarten hin. Arbeiter sagen, auch im imposanten historischen Telegrafenamt gehe es voran, im Postfuhramt werde gewerkelt, und blickdichte Zäune versperren jede Sicht aufs leergeräumte Tacheles-Areal.

Untypisch ist, dass REWE unaufgeregt in vier Wochen aus der verbauten Ackerhalle ein großes Lebensmittel-Kleinod schuf. Von der Straße sieht man gusseiserne Tore, Größe, Weite, Höhe, Maß und Material der historischen Kaufhalle. Hand-made Sushi gibts drinnen, starbucks coffee am Eingang, vis-a-vis Snacks, früher Imbiss genannt, das wird an der Brottheke verkauft. Alles to go. Aber im Sitzen zu essen.

 

Irene Runge