Untern Linden, Untern Linden, da gehn spazieren die Mädgdelein…

Wenn du Lust hast anzubinden, dann spaziere hinterdrein - wird seit 1913 gesungen. Berlins Koalitionäre und Koalitionärinnen und der Ohrwurm. Wollen sie deshalb den –  naja –  Boulevard erneuern? Für Lebenskünstler, die durch die Gegend schlendern, feine Beobachter, versteckt in der Masse, das Spazieren auch sozial reflektierend? Für Stadtmänner, die auf Weiblich la Passante hießen? Für die urbane Stadtszene der Gegenwart, den Typus des hofhaltenden historischen Dandy des 19., arme Genießer im frühen 20., für Weltenbummler, Jetsetter, Emigranten, junge Start-up-Teams, sogar Landeier, die im 21. Jahrhunderts die Innenstadt erobern? Es wird noch viel Wasser durch die Spree fließen, bevor klar ist, welcher öffentliche Raum welchem Typus entspricht. 

Bei uns in Mitte gehts zu wie früher. Aktuell sind es 17 glitzige Weihnachtsmärkte, über die auch flaniert wird. In Geschäften drängen Kaufwütige. Auf manchen Straßen ist es voller als sonst. Weihnachten naht, mit ihm die Jahreswende. Diesmal beginnt am 24. Dezember (wegen des Mondkalenders) auch das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka. Wer Lust hat, kann am 25. um 18 Uhr an der Rückseite des Galeria-Kaufhaus dabeisein, wenn öffentlich das zweite Licht gezündet wird. Die Leuchter sollen übrigens an 17 Orten der Stadt stehen!

Berlin ist bunter geworden. Koalitionäre umarmen einander, Mittes grüner Bezirksbürgermeister lächelt sympathisch, die Landesregierung will gefallen. Der ganze Bezirk ist Alltag: Lebensfreude und Überdruss, Autos, Zank, Baustellen, Lernen und Vergnügen, Ödnis, witzige Schaufenster, Kinder, Hunde und Radfahrer. Bei mediterranem Klima würde ich am gedachten Flussbad der Spree verweilen, in lauen Nächte Eisdielen besuchen. Ich sehe, das neue Schloss nutzt der Aufenthaltsqualität trotz aller Mäkelei. Doch Geschichte hat einen langen Atem. 

Wird es am Alex in die Höhe gehen? Mehr Hochhäuser, mehr Leben, mehr Sicherheit, mehr Polizei, Ordnungsamt, Bänke und Müllabfuhr? So fragen Fußgänger wie ich. Neben dem Großen verliert sich das Kleinklein der Nebenstraßen: Cafés öffnen, Läden haben Räumungsverkäufe, Beate Uhse präsentiert sich in der Oranienburger von der piefigen Seite. Im Winter wird mehr gegessen, im Kino laufen gute Filme. Die geschlossene Ackerhalle bewies, Lebensmittel sind in der Spandauer Vorstadt rar. 2017 wird in jeder Hinsicht spannend!

Irene Runge