Vom Umgang mit dem Oktober-Erbe

Die Edition von unbekannten Lenintexten kommentierend, erklärte Michail Gorbatschow zum Ende seiner Amtszeit, dass Lenins Erbe nicht der Leninismus sei. Er holte Lenin vom Sockel und stellte ihn gleichberechtigt in eine Reihe mit Theoretikern und Politikern der II. Internationale. Seitdem ist in Russland immer wieder von der Umbettung Lenins aus dem Mausoleum am Roten Platz in das Familiengrab in Petersburg die Rede.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR erklärte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, Gennadi Sjuganow, Russland habe sein Potenzial an Revolutionen ausgeschöpft. Der amtierende Präsident Wladimir Putin wies wiederholt auf die verheerenden Folgen der russischen Revolution für Russland und die Welt hin und rief zur Versöhnung auf. Auf der Krim, hier endete 1922 der Bürgerkrieg der „Roten“ gegen die „Weißen“, soll ein Denkmal errichtet werden.

Die Partei DIE LINKE hat in einem langwierigen programmatischen Selbstfindungsprozess in den letzten 15 Jahren den Hinweis auf die „welthistorische Bedeutung der Oktoberrevolution“ aus ihrem Programm gestrichen und der von Lenin begründeten Weltanschauungspartei „neuen Typs“ eine Absage erteilt. Mit einer Begründung ist jüngst die Historische Kommission beim PV der Partei Die Linke hervorgetreten.

Orlando Figes schloß sein Buch über „100 Jahre Revolution“ mit der These: „Es wird viele Jahrzehnte dauern, bis die Russen von den sozialen Traumata und Pathologien des kommunistischen Regimes geheilt sind. Politisch gesehen mag die Revolution tot sein, aber sie lebt weiter im Geist jener Menschen, die von ihrem hundertjährigen Zyklus der Gewalt erfasst wurden.“1 Die heute 17-jährigen Russinnen und Russen sind im von Putin regierten Land aufgewachsen. Ihr Wissen über den „Roten Oktober“ fällt eher dürftig aus.2 Wie lebt die Revolution in der „Mosaiklinken“ weiter, wäre Figes folgend, zu fragen. Als Geschichte des Scheiterns, sagen die einen, als bleibende Herausforderung, die anderen.

 

 

Wladislaw Hedeler

 

1 Orlando Figes: 100 Jahre Revolution. Russland und das 20. Jahrhundert. Berlin 2014, S. 356.

2 Vgl. Boris Kagarlitzki: Rußland: Kann das Jubiläumsjahr die Gesellschaft versöhnen? www.rosalux.de/news/42996/russland-kann-das-jubilaeumsjahr-die-gesellschaft-versoehnen.html.