Wer hat Angst vor den Wandlungen des Lebens? - „FEAR“ an der Schaubühne Berlin

Die Angst geht um. Die Angst vor fremdartigen Krankheiten, vor Diebstahl und Vandalismus, vor Überfremdung, vor der willigeren Arbeitsmoral der anderen, vor dem Verlust der eigenen Werte, vor Zwangskonvertierung und vor allem davor, dass die eigene Heimat nicht deutsch genug bleibt. Es ist die Angst vor der liberalen Gesellschaft, die offen, schnell, dynamisch daher kommt. Die Deutschen, die diese Ängste in sich tragen und verteilen, erfahren in „FEAR“ ihre satirische Aufführung.

Sie werden als Untote, als Zombies dargestellt, deren Reden man längst für ausgestorben hielt. Auf Pappfiguren kleben ihre Zitate und Visagen, die Namen wie Beatrix von Storch, Frauke Petry oder Gabriele Kuby tragen. Mittels großer Video-Projektion erwachen die Monsterfiguren zum Leben, begleitet von harten Beats und wildem Geschrei, denn die Angst will raus, raus aus den Körpern.

Ob die Idee, den Nationalsozialismus als Wiedergängermotiv zu inszenieren besonders originell ist, sei dahingestellt. Aber es ist viel Bewegung drin in diesem Stück, welches Schauspiel und Tanz kombiniert. Dass Menschenmassen, aufwallende Emotionen und hetzerische Parolen nicht nur gesprochen werden, sondern physisch ausgedrückt werden müssen, leuchtet ein. Zumal Zombies nicht für ihre großen Texte bekannt sind.

Das Spiel mit der moralischen Überlegenheit, die es mit der kompletten Achse des Bösen von Eva Herman bis Akif Pirinçci aufnimmt, bringt zwar kaum intellektuellen Erkenntnisgewinn, aber eines wird klar: die Situation ist bedrängend. Der Zeitpunkt, an dem man sich auf die eigene Ratlosigkeit hinter Popsongs und Gartenpflege zurück ziehen konnte, ist vorbei. Die Zwischenszenen, die von leisen Tönen bestimmt sind, lassen eine Botschaft erkennen: Haltet euch nicht raus! Mischt euch in die Debatte ein!

Zumal rechte Kräfte nach der Premiere fast die Absetzung des Stückes erwirkten und Regisseur Falk Richter Morddrohungen erhielt.

Theater kann im besten Fall zum Nachdenken anregen, als Trainingsraum für neue gesellschaftliche Praxen fungieren oder – wie hier geschehen – auf die Dringlichkeit der Realität verweisen. Was zukünftig ansteht, ist allerdings weniger die Spiegelung der Geschichte, sondern die Kunst bestünde darin, Theater von Betroffenen zu ermöglichen, die erzählen, was und welches Land sie aktuell erleben. Ohne Angst hoffentlich!


Andreas Wiebel