Rechtsextremismus mit neuer Qualität?

Wir alle haben noch die Bilder im Kopf, die sich am 29. August 2020 in Berlin abspielten. Eine Vielzahl von Verschwörungsideolog:innen, Antisemit:innen und Corona-Leugner:innen durchbrachen die Absperrungen vor dem Reichstagsgebäude, um auf die Treppen zu gelangen. Zurückgehalten wurden sie von gerade mal drei Polizisten. Die Bilder, auf denen nicht wenige Demonstrierende Reichsflaggen schwenkten, gingen an diesem Abend um die Welt.

Fünf Monate später gibt es neue Bilder, die den Aufschwung der Antidemokrat:innen noch einmal auf ein höheres Level heben. Alt-Right, QAnon und Trump-Apologet:innen stürmen in das Capitol in Washington – bewaffnet. Die Bilder gleichen einem Ausverkauf im Demokratiekaufhaus. Diese beiden Ereignisse sind schwer miteinander vergleichbar, ist doch schon aus historischer Perspektive die Wirkungsmacht der beiden Vorfälle unterschiedlich. Doch eines haben sie gemeinsam: Sie zeigen, welche Qualität rechte Ideologien, Verschwörungsmythen und antidemokratische Einstellungen erreicht haben.

Nicht nur aufgrund der vergangenen zehn Monate, die wir in einer globalen Pandemie verbracht haben, ist deutlich geworden: Rechtsextremismus hat eine neue Ausprägung bekommen. Online brechen sich Hetze und Hass Bahn, vor allem junge Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit jüdischem Glauben werden beleidigt und bedroht. Antisemitische Ideologien sickern weiter in die Mitte der Gesellschaft ein, wie man es etwa am Tragen von Davidsternen mit der Aufschrift „ungeimpft“ auf den sogenannten Corona-Protesten beobachten kann. Es hat sich eine Täter-Opfer-Umkehr manifestiert, die nicht nur zu einer Verrohung von Sprache geführt hat, sondern auch zu einer Mobilisierung, die weit über die rechte Szene hinaus geht. Und immer öfter werden aus Worten Taten.

Eins darf dabei nicht vergessen werden: Menschen wie Donald Trump und Parteien wie die AfD haben diese Entwicklung in den letzten Jahren vorangetrieben. Durch sie wird gezielt die Frage der Schuld gesucht und Komplexität reduziert. Geheime Eliten seien für Corona verantwortlich, geheime Eliten versuchten den amerikanischen Staatsapparat zu stürzen und die Medien verbreiteten Unwahrheiten, um die Bevölkerung hinters Licht zu führen und um vermeintliche Fakten zu verschleiern.

Unsere Aufgabe ist umso mehr: Wir müssen uns mit den Ideologien auseinandersetzen, dessen sich diese Menschen bedienen. Es darf keine Verhandlungsmasse geben mit Corona-Verschwörungsschwurbler:innen, Querdenker:innen oder radikalen Antisemit:innen. Der Rechtsextremismus, den wir erleben, ist nicht neu. Doch mit Angriffen auf die Herzkammern der Demokratie, die Parlamente, zeigt er eine neue Qualität. Er ist salonfähig, weil Menschen, die eigentlich keiner extrem rechten Ideologie anhängen, mit Rechtsextremen demonstrieren und sich so mit diesen gemein machen. Die klare Grenzziehung durch die demokratische Gesellschaft ist deshalb mehr denn je nötig.

Anne Helm, Vorsitzende der Linksfraktion und Niklas Schrader, Innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus