100 Jahre rotes Wien – Hauptstadt höchster Lebensqualität

Wenn man nach Wien kommt, merkt man gleich den Unterschied. Im Vergleich zur deutschen Hauptstadt sind die Menschen auf der Straße und im Verkehr viel freundlicher und entspannter. Obwohl sich in der Wiener Innenstadt eine Vielzahl von Touristen tummelt, wird dort mit Gelassenheit und einem Lächeln deren raumgreifendes Auftreten toleriert.

Vielleicht liegt es daran, dass die Wiener*innen nicht von ständig steigenden Mieten, Sorge vor Verdrängung und Wohnungsnot betroffen sind.

In Wien leben 500 000 Menschen in den sogenannten „Gemeindewohnungen“ der Stadt. Das ist ca. 31% des Wohnungsbestandes und damit ist die Stadt Wien der größte Immobilienbesitzer Europas. In Wien wohnt nicht nur die Familie der Krankenschwester im Gemeindebau sondern auch die der Ärztin.

Weitere 31% der Wiener Bevölkerung wohnen in preisgebunden Mietwohnungen und müssen auch keine brutalen Preistreibereien bei der Miete befürchten. Damit sind knapp Zweidrittel der Einwohner vor unberechtigter Mieterhöhung geschützt und dieser große Anteil hat eine dämpfende Wirkung auf die restliche Mietentwicklung.

Seit dem Ende der Monarchie im Jahre 1918 wird Wien (mit Ausnahme der Zeit des Faschismus) von einer linken Stadtregierung verwaltet. Schon in den 20-iger und 30-iger Jahren wurde sozialer Wohnungsbau betrieben und z.B. der bekannte „Karl-Marx-Hof“ errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt sich der soziale Wohnungsbau im großen Stiel fort. Es wurden die bekannten Wohnanlagen mit den Schwimmbädern auf dem Dach für die Mieter*innen errichtet. Im Gegensatz zu vielen Kommunen in Deutschland hat die sozialdemokratische Wiener Stadtregierung dem „neoliberalen Zeitgeist“ um die Jahrtausendwende standgehalten und den öffentlichen Wohnungsbestand nicht verkauft. Deshalb feiern jetzt die Wiener zu Recht

„100 Jahre rotes Wien“.

Was einem Besucher in Wien noch auffällt, ist die breiter aufgestellte Ladenlandschaft. In der Innenstadt fehlen die großen Kaufhäuser und es gibt im Gegensatz zu Berlin noch eine sehr kleinteilige Struktur des Einzelhandels. Eine Vielzahl von Metzgereien, Eisenwarenhandlungen und anderer kleiner Geschäfte versorgen die Einwohner wohnortnah, daher benötigen auch die Lebensmittelläden in der Innenstadt keine Parkplätze.

Beim Städtevergleich hat Berlin nur beim Straßengrün die Nase vorn.

Wegen der engeren Straßen sind in Wien Straßenbäume viel seltener. Aber das scheint die Lebensqualität der Wiener nicht zu schmälern.

Thomas Licher