Gibt es Kultur und Kunst im politischen Leben der Linken?

Eine Frage an uns: Muss nicht heute, wo unsere Lebensbedingungen uns viel abverlangen, Demokratie zunehmend rechtsextremen Angriffen ausgesetzt ist, Kultur und Kunst in ihrer ganzen Vielfalt im politischen Leben einer sozialistischen Partei  wachsende Bedeutung haben? Angesichts unserer Geschichte haben wir eine hohe Verantwortung für die Verteidigung von Kultur und Kunst, der großen Vielfalt an kulturellen/künstlerischen Traditionen, einem Erbe, das in seiner demokratischen Substanz zu unserem Leben gehört.

Zu allen Zeiten haben Künstler /Kulturschaffende im Ringen für Demokratie, im Kampf gegen den deutschen Faschismus, für friedliche Lebensbedingungen aktiv teilgenommen – und das auch heute.

Wir haben als Demokraten, als Partei nachzudenken, wie Bürger nicht auf den rechten Mob hereinfallen, dass Ängste nicht zunehmen. Menschen Mut zu machen, Lebensfreude, Neugier zu entwickeln, für all das brauchen wir überzeugende Argumente, Wissen, eine Sprache, die die Menschen verstehen, brauchen wir Gefühle, Bilder. Für diese politischen Anforderungen benötigen wir die Freiheit von Kunst und Kultur und ihre stete Verteidigung gegen Angriffe von rechten Kräften und d.h., auch im politischen Leben der Partei dem breiten kulturellen und künstlerischen Leben unserer Stadt mehr Beachtung zu widmen, nicht als Zusatz, sondern als Teil unseres Lebens. So bieten sich für Debatten um die Novemberrevolution mehrere Ausstellungen u.a. auch künstlerische an (z.B.im Brücke-Museum, im Bröhan- Museum, im Liebermannhaus). Für die Auseinandersetzung mit dem Faschismus lohnt sich aufmerksam zu machen auf den Angriff der Faschisten auf Werke deutscher Künstler, die von ihnen als entartet diffamiert wurden. Die internationale Solidarität mit diesen Künstlern demonstrierte eine Ausstellung 1938 in London. Bilder dieser Ausstellung sind gegenwärtig im Liebermann Haus am Wannsee (zeitgleich in London) hervorragend ausgestellt und dokumentiert. Oder man nehme die oft einseitige Debatte um die DDR. Zwei Filme „Gundermann“ und“ Familie Brasch“ - zeigen uns die Widersprüchlichkeit unseres Lebens, dass sich nicht auf MfS u.ä. reduzieren lässt (m.E. ist diese einseitige Geschichtsklitterung eine der Ursachen für die Probleme in allen ostdeutschen Bundesländern). Viele kulturelle und künstlerische Produkte widerlegen beeindruckend diese Einseitigkeiten offizieller heutiger Politik

Diese wenigen Beispiele zeigen, worüber wir in unseren Gesprächen mit unseren Mitbürgern nachdenken sollten. Zum Wie gehört die Emotion, das Gefühl.

Es ist die subjektive, eben einmalige Sicht des Künstlers in seinem Werk, die so wesentlich ist. Sie gibt der politischen Debatte Farbe, Anregungen, Argumente, die wir brauchen, auch um der Hektik des Alltags zu begegnen.

Kunst/Kultur hat in der Gestaltung des Alltags einen eigenen Wert, ist Teil des Ringens um soziale Gerechtigkeit. Sie gibt der Rationalität unseres Alltags Farbe und Muse. Kultur und Kunst in ihrer ganzen Vielfalt ist kein elitärer Zusatz oder ein Prestige Weniger.

Und gerade Sozialisten, müssen diesen Wert für das Leben aller immer wieder lebendig erhalten.

Prof. Dr. Anni Seidl