Manhattan und Berlin

Wieder in Berlin gelandet, hoffe ich, dass mir die Mitte von Mitte noch ein paar Tage lang wie Manhattan schmecken möge. Hier höre ich das gleiche Englisch wie dort, hier sehe ich junge Leute, die wie dort am Wochenende so geduldig wie heiter nach besonderen Udon-Suppen, Sushi- oder Tapas-Happen anstehen. Andere schleppen spätabends ihre REWE-Einkäufe nach Hause, und selbst im Waschsalon wird bis in die Nacht gelesen und Kaffee getrunken.

So war es einst auch im gewesenen Manhattan, sagen die, die es wissen, damals, als die Mieten noch bezahlbar waren, als Studierende, Luftmenschen und Künstler glaubten, ihnen würden ihre kleinen Teile der Stadt auf immer gehören. Damals gab es noch keine rasenden Fahrräder, damals funktionierten weder law noch order. Die Kriminalität blühte, in der Subway war es gefährlich, Straßen blieben schmutzig. Für die Kunstszene begann mancher Tag um die Mittagszeit, doch heute schieben sich obszöner Reichtum und dunkles Elend in den Vordergrund.

Keine Stadt ist wie die andere. Eine Stadt kümmert nicht, wer ihre Häuser bewohnt. Für das urbane Wohlbefinden ist das entscheidend.

In Manhattan-West kam ich zufällig mit einem Designer ins Gespräch, der sich demnächst nach Berlin-Ost absetzen wird. Wunderbare Stadt, sagt er, so gemuttlisch, Freunde sind Freunde, er hat WG und Atelierplatz gefunden, will hier arbeiten, deutsch lernen, das neue Berlin für sich erobern.

Mit seinen Augen entdecke ich, wie munter sich diese schmuddlig unfreundliche, novembergraue Stadt reckt und streckt. Schon wieder neue Lokale und Pop-Up-stores. Winterklamotten, wo es bis vor kurzem noch Eis gab. Leer steht das große verwunschene Haus in der Linienstraße, das bis zur Torstraße reicht, in dem ein jüdisches Krankenhaus gewesen sein soll. In der Sophienstraße ist manchen Fenstern anzusehen, dass niemand dahinter wohnt, auch das gewesene Hotel mit scheußlicher Bewirtung an der Neuen Schönhauser/Weinmeisterstraße, das der WBM gehört, scheint keine neuen Mieter zu finden. Gut Ding will Weile haben? Das sagte man früher. Heute heißt es auch in Berlin: Time is money. Alles ist relativ, und zumindest dieser Satz stimmte damals und heute.

Irene Runge