Urbanes Paradies auf Zeit

Auf dem grauen Wagen steht "Solarkiosk". So entdecke ich in der Mitte von Berlin den temporären Garten. Seine Initiatoren sagen dazu "gelungenes, wenngleich vorübergehendes Experiment zur sinnlichen Erfahrung urbaner Natur". Zu finden ist er auf der verwucherten nordöstlichen Baulücke Invaliden-/ Ecke Ackerstraße. Little Wood, also Kleiner Wald, ist die Idee des Contemporary Food Lab aus der benachbarten Bergstraße 22. Ein offen verstecktes Paradies, wo sich Hunderte täglich bei Workshops, Vorträgen, Screenings, Supper Clubs, Konzerten, Picknick, Miniwanderungen unterm Baumgrün oder beim Austausch und Ausruhen auf der Skulptur des Schweizer Künstlers Kerim Seiler treffen. Ein kleines städtisches Ökosystem aus Sachverstand und Liebe, ein interdisziplinäres Programm für die Öffentlichkeit, das erklärt mir Projektleiter Andres aus Bogota. Berlins Mitte ist im Umbau und dieser Ort ein perfektes Labor für kreatives Experimentieren mit urbaner Regeneration. Das Areal gehört den Graft-Architekten, die rund 100 Mitarbeiter auf drei Kontinenten beschäftigen und hier bald so umsichtig bauen wollen, wie sie das Projekt gefördert haben. Den Solarkiosk haben sie auch entwickelt. Er dient in ländlichen Regionen Afrikas dazu, Bewohner mit Strom zu versorgen und ihr Marktplatz zu sein.

Mittes Contemporary Food Lab spricht sich herum, sagt Andres, Facebook und Flyer machen den Rest. Freunde, Bekannte, Fremde jeden Alters und aller Sprachen kommen, sie erleben, wie Natur, Stadt, Essen und Kochen sinnvoll, sinnlich und kulturell miteinander funktionieren. Der Kiosk bietet Kost aus Krisenregionen der Welt, auch Decken und Spiele. Romantisch sind die Ruheecken. Urban Farming, Agrikultur im urbanen Raum, heißt der Beitrag der HUB, deren Studenten ihre Garteninstallationen auf Hochbeete, in Gefäße und auf ebener Erde pflanzten. Man kann alles sehen, riechen und schmecken, hier summen auch Bienen. Zur Eröffnung haben Besucher das erste Gemüse geerntet, geputzt, gekocht und gemeinsam verspeist. Sagt Andres. Theodor, der einst aus Rumänien kam, fand das Projekt im Internet. Er will Vorträge hören. Ich genieße das unerwartete Geschenk profaner. Jeden Tag ist es mit seinem Geruch von warmer Wiese vermutlich noch bis in den September von 15 bis 22 Uhr geöffnet, aber der Sommer und der eigenwillige Pop-Up Garden haben ihre Hoch-Zeit schon gehabt. Ich werde mich an beide noch lange erinnern.

Irene Runge