Wetta jibt's imma!

Die Sonne hat lange gewärmt, manche Gastronomie blüht. Aus dem Italiener Ackerstraße wurde das "Wien Mitte". In der Großen Hamburger ist der Immobilienhandel von einer asiatischen "Fusion Cuisine" abgelöst worden, auch die Rosa-Luxemburg-Straße ist mittags kaum wiederzuerkennen. Dass auf den eitlen Klamottenladen Tucholsky-/Ecke Auguststraße ein italienisches Kaffeehaus folgt, freut mich auch. Wie das Wetter, ist die Straße für Überraschungen gut.

Besserwisserisch verbreiteten Sommermedien, die Einheimischen hätten die Touristen satt, und sie unterschlugen, dass diese dem Straßenleben und der gastronomischen Vielfalt die Würze geben. Letztere fehlt am Alexanderplatz, wo sich auf klebrigen Betonstufen die durch Konsumgier erschöpften Touristen und Berlinbewohner hinter riesigen Primark-Tüten erholen. Noch vor kurzem kam man wegen des berühmten Platzes, heute um der Schnäppchen willen. Vor dem neuen Kaufparadies wacht in dunkler Dienstkleidung Primarks durchtrainiertes Team. Würden solche Männer den Platz im Auge haben, die Kriminalität hätte einen schweren Stand.

Nur Stationen weiter wirkt es am Potsdamer Platz für Berliner Verhältnisse bescheiden, ruhig und sauber. Den Mangel an Bänken machen alte Bäume mit Herbstlaub wett, unter denen spaziert, Maulaffen feilgehalten oder vor Restaurants gespeist und getrunken wird. In der Passage ist der Mauerfall auf Fotos und dreidimensional zu begutachten. Das interessiert auch junge Touristen. Bald wird fast nebenan die nächste Galerien-Kauflandschaft eröffnen und das historische Sechseck Leipziger Platz schließen. Die Straße kann sich beleben, der öffentliche Durchgang wird Wetterschutz sein. Doch Hotels, Restaurants, Läden und Wohnungen sind das neue Berlin, auch wenn behauptet wird, hier würde sich das Gewesene reproduzieren. An Geschichte erinnert derzeit auch kaum das Skelett der Staatsoper mit Kran-Ballett. Wie die Baustellen von U-Bahn und Schloss verkündet sich hier urbaner Gestaltungswille, nicht minder dort, wo das Wasser im umstrittenen Eingangsneutiefbau der Museumsinsel endlich gestoppt wurde, und am Museums-Forum jenseits des Spreearms, wo zwischen Monbijou- und südlicher Tucholskystraße wieder Arbeiter am Werk sind. Der Auf- und Umbau geht irgendwie weiter. Sicher ist uns auch neuer Regen.

Irene Runge